anna karenina

Das achtteilige Romanepos verwebt die Geschichten dreier adliger Familien: des Fürsten Oblonski und seiner Frau Dolly, Dollys junger Schwester Kitty Schtscherbazkaja und des Gutsbesitzers Lewin, sowie schließlich Anna Karenina, der Schwester des Fürsten, die mit dem Staatsbeamten Karenin verheiratet ist. Annas Liebesaffäre mit dem Grafen Wronskij führt schließlich zum Bruch der Ehe und ihrer Selbsttötung.

Der Detailreichtum, mit dem Tolstoi die Geschichte(n) erzählt, macht es notwendig, sich bei einer kurzen Inhaltsangabe auf die Haupthandlung des Romanepos zu beschränken. Die scheiternde Beziehung der Karenins auf der einen und die glückliche Ehe Kittys mit Lewin auf der anderen Seite bilden die Handlungsschwerpunkte. Die Oblonski-Geschichte ergänzt und kontrastiert die beiden Haupthandlungen, ohne dabei unwichtig zu sein. Über die Frage, ob es sich bei Anna Karenina um einen typisch Tolstoischen „Doppelroman“ oder um ein dreisträngiges Werk handelt, gibt es in der Literaturwissenschaft unterschiedliche Ansichten.

Die Handlung beginnt mit der von ihrem Ehemann betrogenen Dolly. Sehr unglücklich und mit dem Vorhaben, sich scheiden zu lassen, lässt sie sich letztendlich doch von der Schwester ihres Mannes Stephan Arkadjewitsch, Anna Karenina, helfen. Anna rät ihr, sich von ihrer Liebe leiten zu lassen. Mit diesem Ratschlag gelingt ihr die Rettung der schon ruiniert geglaubten Ehe.

In denselben Tagen begleitet Anna Karenina die sich im heiratsfähigen Alter befindende Kitty, eine Schwester Dollys, zu einem Ball. Kitty hatte bereits aus Liebe zu Wronskij einen Heiratsantrag Lewins ausgeschlagen, der seit langem in sie verliebt ist. Ihre Mutter empfand eine Heirat der beiden als nicht standesgemäß. Auf dem Ball schließlich erwartet Kitty in heller Aufregung den Antrag Wronskijs, dem ihre Mutter sehr zugetan ist.

Nur ein kurzes Aufeinandertreffen von Anna und Wronskij am Bahnsteig genügten, um die Leidenschaft beider zueinander zu entfachen. Wronskij, der sich eine Zukunft als ewiger Junggeselle zu wünschen pflegte und es gar nicht in Betracht zog, Kitty, geschweige denn einer anderen Frau einen Antrag zu machen, folgte von da an Anna Karenina auf Schritt und Tritt. Kitty, die sich von Wronskij verschmäht und somit erniedrigt fühlt, stürzt in eine Lebenskrise, zumal sie ihrer großen Liebe Lewin den Laufpass gegeben hatte. Auch Lewin fühlt sich zutiefst beschämt und stürzt sich in seine Arbeit.

Anna und Wronskij hingegen kommen sich immer näher, was sich vor der Gesellschaft und Annas Ehemann nicht mehr verheimlichen lässt, als Anna von Wronskij schwanger wird. Die wahrheitsliebende Anna Karenina kann Lug und Betrug nicht weiter ertragen und beichtet alles ihrem Ehemann, der ihr seiner gesellschaftlichen Stellung wegen noch eine Chance einräumt, ihren Betrug vor Gott zu sühnen. Weiter gefangen in der für sie ekelerregenden Gesellschaft ihres Mannes sieht Anna nur noch die Rettung in ihrem eigenen Tod.

Aber durch die Geburt ihres zweiten Kindes dem Tode nahe, bekennt sich Anna um ihres Seelenheils willen vermeintlich zu ihrer Liebe zu ihrem Ehemann. Wronskij versucht daraufhin, sich das Leben zu nehmen. Als Anna wider Erwarten genest, durchfährt ihren Mann eine Sinneswandlung und er gestattet die Scheidung. Dies nehmen Anna und Wronskij zum Anlass, das Gut ihres Mannes und die Stadt zu verlassen, und sie beginnen zu reisen. Anna lässt ihren heißgeliebten Sohn Serjoscha für ein Jahr zurück. Währenddessen finden Kitty, die ihr seelisches Gleichgewicht durch eine Kur wiedererlangt hat, und Lewin durch ein arrangiertes Treffen wieder zueinander. Nach einer privaten Aussprache beginnen auch schon die Hochzeitsvorbereitungen.

Von der Sehnsucht nach ihrem Sohn getrieben, reist Anna mit Wronskij wieder nach Petersburg. Doch ihr Mann, beeinflusst durch Gräfin Lydia, verweigert ihr ein Treffen. Nur einmal gelingt es ihr noch, sich in das ehemals gemeinsame Haus zu schleichen, um Serjoscha zu sehen. Von der Gesellschaft ausgeschlossen und enttäuscht, zieht sich das Liebespaar auf ein Landgut zurück, wo es bald feststellen muss, sich selbst nicht zu genügen. Wronskij stürzt sich in die Arbeit, während Anna durch die dauerhafte psychische Belastung in Wahnideen verfällt, geprägt von starker Eifersucht und heftigen Selbstzweifeln.

Wronskij drängt immer stärker auf eine Legitimierung des Kindes Annie und eine Rehabilitierung in der Gesellschaft durch die Scheidung Annas. Anna jedoch fürchtet, auf diese Weise ihren Sohn Serjoscha ganz zu verlieren, und stimmt lange nicht zu. Als die durch Annas Gefühlsschwankungen verursachten Beziehungsprobleme jedoch überhand nehmen, willigt sie schließlich ein.

Währenddessen wird der sich als Atheist bezeichnende Lewin sowohl bei dem Tod seines Bruders als auch bei der Geburt seines Sohnes mit der Sinnfrage des Lebens konfrontiert. Die Existenz Gottes nicht annehmen wollend, wird er aus der Bahn geworfen und gerät abermals in eine Sinnkrise.

In übersteigerter Religiosität Rettung suchend scheint es so, als verweigere Alexeij Karenin Anna die Scheidung. Wronskij, von Annas Wesenswandel sichtlich irritiert und überfordert, gelingt es nicht mehr, sie von ihren Wahnideen abzubringen, und sie entfernen sich voneinander. In dem Glauben, Wronskij könne sie nicht mehr lieben und sie müsse Rache üben, weil er ihr seine Gegenwart verweigerte, stürzt sich Anna, erschrocken über ihr eigenes Verhalten, vor einen Zug, genauso wie sie es bei einem Unfall, als sie mit Wronskij zum ersten Mal zusammentraf, hatte miterleben müssen.

Nach monatelangem Trübsinn dem Selbstmord nah, findet Lewin eine Antwort auf seine Fragen. Die jedem Menschen ureigene Vorstellung der Hingabe zum Guten, einem göttlichen Willen entsprechend, kann seine Lebenszweifel beseitigen.

Wronskij zieht in der Gewissheit, dass sein Leben ohne Anna keinen Sinn mehr hat, in den Krieg, um - ohnehin dem Tod geweiht - dem Körper noch einen Nutzen zukommen zu lassen.
Der Roman steht thematisch (Ehe/Ehebruch) neben anderen bedeutsamen realistischen Romanen in Europa, was zeigt, wie wichtig das Sujet in dieser Zeit war. Madame Bovary von Gustave Flaubert, Effi Briest und L'Adultera von Theodor Fontane können in der Epoche des Realismus für diese Art des „Verführungsromans“ am Ende des 19. Jahrhunderts zum Vergleich herangezogen werden.

Unter Tolstois Romanen gilt Anna Karenina als künstlerisch vollkommenster, der die moralischen Werte und Anschauungen des russischen Schriftstellers breitgefächert präsentiert: Der Roman beginnt sogleich mit dem Kernsatz „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ (Dieser Satz wird auch als Anna-Karenina-Prinzip bezeichnet.)